Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –
Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.
Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
dass Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!
Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muss einer denken? Wird er nicht vermisst?
Ingeborg Bachmann
Caravaggio: Amor als Sieger (1603/03)
Wo hast du all die Schönheit hergenommen,
Du Liebesangesicht, du Wohlgestalt!
Um dich ist alle Welt zu kurz gekommen.
Weil du die Jugend hast, wird alles alt,
Weil du das Leben hast, muss alles sterben,
Weil du die Kraft hast, ist die Welt kein Hort,
Weil du vollkommen bist, ist sie ein Scherben,
Weil du der Himmel bist, gibt’s keinen dort!
Ricarda Huch
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Schreib mir einen Brief mit der
Hand ich möchte sehen wie du
Meinen Namen schreibst – das L
In Laura ob es eckig ist oder rund
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Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen
engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon
gesungen.
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.
Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.
Else Lasker-Schüler
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Die Luft riecht schon nach Schnee, mein Geliebter
Trägt langes Haar, ach der Winter, der Winter der uns
Eng zusammenwirft steht vor der Tür, kommt
Mit dem Windhundgespann. Eisblumen
Streut er ans Fenster, die Kohlen glühen im Herd, und
Du schönster Schneeweißer legst mir deinen Kopf in den Schoß
Sarah Kirsch
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der Augen mir Ringe um
und lass mich springen unter
der Hand in deine. Zeig mir wie’s drunter
geht und drüber. Ich schreie ich bin stumm.
Verreib die Sonnenkringel auf dem Bauch
mir ein und allemal. Die Lider
halt mir offen. die Lippen auch.
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Ich sterbe nicht
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nicht was schön ist –
was hässlich ist.
Nicht wo du helfen kannst –
wo du hilflos bist.
was Liebe
nicht retten kann.
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Ob meinem losen Haar hob ich die Arme
Wie Zweige, schlank und rund.
Da stürzte Regen in das Mainachtsschweigen
Und rief sich zage Blüten aus den Zweigen
Und jede war ein blasser Mund.
Gertrud Kolmar
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Ingeborg Bachmann