“ Im Deutschen ist zwischen den Fremden, wenn sie im unbestimmten Plural auftreten, und der Fremde, in die es einen ziehen oder auch verschlagen mag, kein Unterschied. Dass der Fremde nur in der Fremde fremd sei, aus solchem Gleichklang wußte Karl Valentin seinen Sprachwitz zu schlagen, doch der österreichische Dichter Theodor Kramer, der sich 1939 ums Leben in das karge englische Exil gerettet hatte und erst zum Sterben nach Österreich zurückkehrte, setzte ihm bitter entgegen: »Erst in der Heimat bin ich wirklich fremd.«
Wie es nicht ausreicht, aus der Fremde zu kommen, um ein Fremder zu sein, so ist auch niemand davor beschützt, selbst dort in den Status des Fremden zu stürzen, wo er geboren und aufgewachsen ist. Als 1995 vier Roma aus Oberwart, deren Familien schon seit Generationen in Österreich sesshaft waren, einem Bombenattentat zum Opfer fielen, hat mir ein wohlmeinender Österreicher sein Entsetzen über diese Tat mit den rechtschaffenen Worten mitgeteilt, dass man in einem Kulturstaat doch so nicht mit Ausländern umgehen dürfe.
Natürlich spielen bei der Identifizierung eines Menschen als Fremdem auch heute noch Dinge wie Aussehen, Hautfarbe, Kleidung, Verhalten eine Rolle, doch fügen sich all diese Merkmale nicht mehr unmittelbar zum Bild des Fremden, sondern nur, insofern sie als deren Attribute häufig die Armut begleiten, welche die Fremdheit erst ausmacht. Vor einiger Zeit wurde dem in aller Welt berühmten Sänger Harry Belafonte nach einem umjubelten Konzert der Zutritt zu einer Linzer Diskothek verweigert. Im darob rasch aufflammenden Skandal hat sich der zerknirschte Besitzer der Diskothek gegen den ihn kränkenden Verdacht, ein Rassist zu sein, mit heftigen Worten verwehrt, er habe einfach nicht erkennen können, dass es sich bei dem »Neger« um Harry Belafonte gehandelt habe. Nie und Nimmer würde er, in dessen Diskothek ja stundenlang die Platten schwarzer Komponisten, Sänger, Musiker abgespielt werden, einem Menschen der Hautfarbe wegen den Zutritt in sein Lokal verweigern.
Umgekehrt braucht es keine andere Hautfarbe, Sprache, Religion oder auch Staatsbürgerschaft mehr, dass ganze Gruppen zu Fremden im eigenen Land erklärt werden: Der ökonomische Rassismus erklärt die Armen im Staate zu einer eigenen Nation, verstößt sie aus dem traditionellen Verband, wodurch sie zu Fremden werden, wie das der politische Regionalismus mit seinem Bemühen, die alten Nationalstaaten zu zerschlagen, immer offenkundiger in allen Teilen Europas propagiert.
Aber das ist eine unzureichende Erklärung. Der Elende wird vielmehr nicht verachtet, weil der den wohlhabenden an seine versäumten Menschenpflichten, sondern weil er ihn daran erinnert, dass er selber der Elende sein könnte. Im Fremden, der aller sozialen Sicherheiten entledigt ist, entdecken jene, die sich von gesellschaftlichen Traditionen und staatlichen Institutionen noch geschützt wähnen, wie brüchig dieser Schutz ist. Nicht weil der Fremde fremd ist, wird er gehasst, sondern weil er schon das ist, was viele zu werden fürchten müssen; ihm ist bereits zugestoßen, was auch über uns verhängt sein könnte, sein Anblick erschreckt, nicht weil er fremd, sondern ein Spiegel ist, in dem sich eine fürchterliche Wendung abzeichnet, die das eigene Leben nehmen könnte.
Die teilweise aberwitzigen Gesetze, mit denen in den letzten Jahren überall in Europa die Lage der Fremden verschlechtert wurde, ohne das sich dabei irgend etwas für die arbeitenden oder nicht mehr arbeitenden Landesbevölkerungen gebessert hätte, haben überall aber nicht die vom sozialen Absturz bedrohten Fremdenfeinde erlassen, sondern jene aufgeklärten Besser- und Sichergestellten, aus denen sich die Parlamente üblicherweise rekrutieren. So liegt die Vermutung nahe, dass sich die einen eines Fremdenhasses bedienen, die ihnen bei den anderen, die ihm anheimgefallen sind, sehr zupass kommt.
Rund 370 Millionen Menschen rechnen zum privilegierten Rang von Bürgern der Europäischen Union, nicht zehn, nicht einmal fünf Prozent Ausländer leben in diesem mächtigen Wirtschaftsraum. Der demokratische Verfall hat sie, ungeachtet der Dauer, wie lange sie hier schon arbeiten und wohnen, wie sehr sie den Verhältnissen integriert sind und welches der Grund ihres Kommens war, insgesamt zu Fremden gemacht und so die heterogenen Gruppen von Arbeitsemigranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern zusammengefasst.
Karl-Markus Gauß, Freigeist.
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In der Anthropologie heißt es, der Mensch sei eine Variante des Schimpansen, die es geschafft hat, weit intelligenter zu werden, als es ein Affe gewöhnlich ist. Dank dieser Tatsache sei es dem Menschen möglich, in die Welt hinauszuziehen und sich fremden Wind um die Nase wehen zu lassen.
Wie sollen wir heute Emigranten aufnehmen? Als Artgenossen, die uns einen riesigen Gefallen tun und uns daran erinnern, worin Menschlichkeit besteht. Der Grieche Plutarch schreibt, dank dieser zufälligen Begegnungen mit Fremden begreift unsere Seele, was sie ist – nämlich wesenhaft fremd – und was sie zu erwarten hat, nämlich Gastfreundschaft. Denn wir haben alle einmal die Erfahrung gemacht, dass wir uns schutzlos im Unbekannten befinden: »Geboren zu werden bedeutet immer, in ein fremdes Land zu kommen.« Zweifellos kann die derzeitige Einwanderungsflut in den wohlhabenden Ländern für Chaos sorgen. Doch wird man schlecht unterbinden können, dass die Medien überall verbreiten, wie Menschen andernorts leben und vor allem, wo es sich besser leben lässt. Es ist daher nur natürlich, dass viele Benachteiligte aus anderen Breiten bei uns ihr Glück versuchen wollen. Emigranten hat es immer gegeben, und ihre Zahl wird nicht ausgerechnet in dem Jahrhundert abnehmen, in dem man sich mit einem Knopfdruck oder Klick über die sozialen Bedingungen in anderen Ländern informieren kann und in dem es an Transportmittel nicht mangelt.
Es liegt auf der Hand, dass rechtliche Anerkennung der Einwanderung und ihre humanistische Wertschätzung nicht bedeutet, dass es keine Regulierungsmechanismen geben darf: Großzügige und laxe Kontrollen begünstigen nur Menschenhändler, Arbeitgeber, die billige Lohnsklaven suchen, und ausländerfeindliche, ultranationalistische Agitatoren und führen zu nichts. Zweifellos ist es ein Vorurteil, »Einwanderer« mit »Kriminellen« gleichzusetzen, doch angesichts des traurigen Schicksals vieler Illegaler, die der Mafia wegen eines fehlenden Arbeitsschutzes ausgeliefert sind, hat diese Aussage manchmal durchaus ihre Berechtigung.
Kann man von den Einwanderern verlangen, dass sie bestimmte Bedingungen zur Integration in unser Land erfüllen müssen? Auf jeden Fall.
Fernando Savater, Freigeist.
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“ Der Mythos von der autonomen Seele, oder von der Mündigkeit des Individuums, ist ein Produkt der europäischen Geschichte. Erst nach dem Zerfall der politischen Macht der Kirche entfaltete das kartesische Ich, das sich als Ausgangspunkt setzte, seine volle Arroganz.
Als die Kirche ihre Faszination verlor, als ihre Künste und Zaubervorstellungen verkümmerten und die Scheiterhaufen ausgingen, versuchte sie notgedrungen, das »lächerliche Eselsgeschrei« der Einzelseelen interessant zu machen. Aus dem Jammertal, wo sie die Exekutivgewalt verlorene hatte, zog sie sich an die Schwelle des Jenseits zurück. So sicherte sie sich wenigstens die Verwaltung des Todes, während in die meisten ihrer Unternehmungen psychologische und soziale Quacksalber einrückten und ihre profanen Programme und Szenarien aufstellten.
Gerhard Amanshauser, Freigeist.
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“ Ich weiß nicht, ob schon einmal jemand erwogen hat, welche Auswirkungen es auf die spätere Diaspora hatte, dass das jüdische Staatswesen unter römischer Ägide stand. Mir scheint es ein ewiges Muster zu sein. Die Ehrerbietung für die fremde Macht, das ständig zu Kompromissen bereite Verhalten, das der eigenen Gemeinde gegenüber mit der Forderung von Opferbereitschaft auftritt. Allmählich wird daraus eine Umgangsform: Ächtung vor dem fremden, Verachtung dem eigenen gegenüber; in sie mischen sich schmerzliches Schuldbewusstsein und die überzogene Familienliebe der ewigen Minderheiten.
Das jüdische Großkapital, das einerseits als rationaler Faktor (in der Nationalökonomie einer fremden Nation) funktioniert und andererseits, gewissermaßen nach innen, der jüdischen Gemeinschaft gegenüber, wie ein väterlicher Diktator auftritt: Eine gewisse Wohltätigkeit, Freigebigkeit, um das Leben und damit die Masse zu erhalten zum Zwecke der jeweils nächsten Opferdarbringung. – Verglichen damit eine beinahe moderne Erscheinung, wenn sich vereinzelt reiche jüdische Gemeinden im Zeichen der Selbsterhaltung von der armen, kompromittierenden Masse zu befreien versuchen; etwa das verhalten der Amsterdamer Juden zur Zeit Spinozas: Diese reichen Juden gaben den aus Deutschland, Spanien usw. fliehenden armen jüdischen Massen Geld, unter der Bedingung, dass sie nach Russland, nach Osteuropa weiterziehen. „
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Also, üblicherweise wird versucht ein Ziel möglichst schnell zu erreichen, wenn es bekannt.
Ich habe gegen meine Natur versucht und gegen meinen Instinkt den optimistischen Standpunkt einzunehmen.
Ich habe viel versucht.
Ich habe gegen mein besseres Wissen behauptet: Das Leben ist wert geliebt zu werden um seiner Selbst willen.
Wie dumm, ein Vorwand diese unangenehme Prozedur nicht vornehmen zu müssen.
Es gibt keine Schuld, keine Sünde, nicht Gut, nicht Böse, keinen Gott, keine Möglichkeit,
Wozu der Mensch als ethische Fehlkonstruktion mit ethischer Einstellung behaftet sein kann?
Ein Scherz.
Es ist grässlich, dass die Hoffnung wie ein böses Geschwür bis zur letzten Sekunde wuchert.
Die Dinge bleiben wie sie sind.
Idealismus ist unangebracht.
Unter diesen Auspizien vertrete ich (natürlich nur für mich, da ja ich mit dieser Meinung behaftet bin) als richtig, der.
Falsch, für.
Ich bin einfach nicht einverstanden,
Konrad Bayer, Freigeist. (Freitod 1964)