Diagnose: Ausgebrannt
Volkskrankheit Burnout: Immer mehr Menschen kommen mit dem hohen Leistungsdruck, den hohen Ansprüchen ihres Chefs und der Konkurrenzsituation am Arbeitsplatz nicht mehr klar – und werden krank. Persönliche Unzulänglichkeiten? Nein, sagen Psychologen: Burnout ist die Folge eines Systems, das nur Leistung und Erfolg kennt. (…)
“ Sich selber in die Pflicht zu nehmen – wohl das Schwierigste. Der Mensch, eo ipso Faultier, legt nur zu gerne die Hände in den Schoss, und nicht allein in den eigenen. Freilich: Falls die Disziplin übers Normalmaß hinausgeht, droht die Psychose. Im Wettlauf mit sich selber kann man sich niemals überholen, versucht man es doch, bricht man vor dem fiktiven Ziel zusammen.
Die Praxen der Therapeuten sind voll von Leuten, die sich übernommen haben bei der Konkurrenz mit den eigenen Absichten. Mehr zu schaffen, als einem möglich ist, das resultiert aus der vertechnologisierten Umwelt, in der alles besser, schneller, effektiver, reibungsloser und scheinbar vorbildlich läuft. Das allgemeine Tempo hat zugenommen und zwingt das Individuum, damit Schritt zu halten, und zwar in allen Lebensbereichen. Das Misslingen und Scheitern ist dadurch voraussehbar, ohne das diese Voraussicht irgendwem von Nutzen wäre, wie ja keine Voraussicht je etwas verhindert hätte.
Günter Kunert, Freigeist.
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“ Kinder (und Tiere) scheitern, ohne bösartig zu werden. Ihr Lebensprinzip ist die problemlose Wiederholung. Sie machen alles noch einmal und noch einmal und noch einmal. Als Kinder können wir nur selten erfolgreich handeln. Die kindliche Tätigkeit bricht entweder von selbst zusammen oder wird (häufiger) von Erwachsenen beendet. Daraus erwächst eine allmähliche Einübung ins Scheitern, von der wir eigentlich hoffen sollten, dass sie uns auch im Erwachsenenleben zur Verfügung steht, aber dann zeigt sich, dass wir das gelassene Scheitern trotz der langen Übungszeit doch nicht haben lernen können.
Dieses Dementi ist umso fürchterlicher, weil wir es selbst in die Welt setzen. Das Dementi macht uns vorübergehend ungültig. Wir begreifen unser Scheitern nicht (an unserem Willen, es nicht zu verhindern, hat es nicht gefehlt), wir können es nicht gelten lassen und leben doch schon darin. Das schlimmste daran ist vielleicht: Wir können unser Scheitern nicht ausdrücken und nicht kommunizieren; nein, noch schlimmer ist, wir verheimlichen es vor uns selbst. Wir leben jetzt in einem »inneren Pogrom« – solange der Nachhall des Scheiterns uns im Griff hat. Während dieses Wartens werden wir zu einem Versuchstier unserer selbst. „
Wilhelm Genazino, Freigeist.
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“ Nichts, wenn man es überlegt, kann dazu verlocken, in einem Wettrennen der Erste sein zu wollen. „
Franz Kafka, Freigeist. (Aus: » Zum Nachdenken für Herrenreiter«)